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Konnektivität und Kulturanalyse


Ulf Hannerz, the global ecumene as a network of networks

Wozu Kulturanalyse? Cultural Studies liefern in etwa eine Antwort wie diese: Zur Bereitstellung von Wissen, das der Veränderung soziokultureller Probleme und Konflikte dienen kann, indem die Fähigkeit zur Selbstreflektion gesteigert werde.

Demzugrunde liegt einerseits der anthropologische, weite Kulturbegriff, der maßgeblich von Raymond Williams in den 1950- bis 1970er Jahren zunächst als ´Culture as a whole way of life; und später als ´Kultur als System von Bedeutungen und Praktiken geprägt wurde; in Gegenkonzeption zu einem exklusiven Kulturbegriff, der dieselbe als Summe intellektueller und künstlerischer Werke betrachtet, eine ´Hochkultur definiert. Deutsche Konzeptionen von ´Nationalkultur, wenn auch komplexer, fußen bislang u.a. maßgeblich auf dem Hochkulturkonzept. In der späteren Reformulierung seines Kulturbegriffs folgt Williams einer stärker semiotisch-strukturalistischen Orientierung innerhalb der Theoriediskussion der Cultural Studies, weil er sich der Unschärfe seiner ursprünglichen Definition für materiale Kulturanalysen bewußt wurde.

Die Rezeption des französischen Strukturalismus und Poststrukturalismus fand insbesondere angestoßen durch Stuart Hall eingang in die Cultural Studies.
Hierin rückt der Vorgang der kulturellen Produktion und Re-Produktion inform von sinnkonstituierender Praxis in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, in Erweiterung des Verständnisses kultureller Vorgänge als Konstitution von Bedeutungen in Praktiken (und natürlich in materiellen Produkten, nach wie vor).

Sowohl das kulturalististische als auch das strukturalistische Paradigma der Cultural Studies positioniert das Individuum auf eine ganz bestimmte Weise innerhalb der Gesamtheit der individuellen und nichtindividuellen Lebenzusammenhänge: Insbesondere in Kontrast zur deterministischen Vorstellung des orthodoxen Marxismus von Individuen als Teilen manipulierbarer Masse sind im Individuumsbegriff der Cultural Studies Aspekte von Handlungsspielraum und Autonomie zentral.
Das Artikulationskonzept Stuart Halls liefert hier ein essentielles erkenntnistheoretisches Instrument.

Hand in Hand mit der Vorstellung von (relativer?) Autonomie des Individuums geht die Ablehnung des Begriffs der Massenkultur, der begriffsgeschichtlich nachweisbar negativ konnotiert ist - zurückgehend u.a. auf den von Horkheimer und Adorno entwickelten kritischen Begriff der Kulturindustrie einerseits und die konservative kulturpessimistische Konstruktion des dualistischen Gegensatzpaares Hochkultur - Populärkultur (letzteres gleichgesetzt mit Massenkultur, nicht im Sinne der Cultural Studies) durch T.S. Elliot und F.R. Leavis andererseits.

Der Vorstellung des autonomen Individuums liegt ein spezifisches Subjektkonzept zugrunde, das die Bildung kultureller Identität fokussiert und mit der Vorstellung bricht, das Individuum habe eine (nicht konstante, aber dennoch) kohärente einheitliche Identität, wie im Subjektkonzept der Aufklärung oder auch noch im soziologischen Subjektkonzept formuliert wird.

Ein postmodernes Subjektkonzept referiert natürlich auf eine Konzeptualisierung der Postmoderne selbst. An dieser Stelle wird Netzwerkanalyse als epistemologischer Zugang interessant.
Die wissenschaftliche Erkenntnis, daß menschliche Gesellschaften aus vielerlei verschiedenen Arten von parallelen und miteinander verbundenen Netzwerken bestehen, ist nicht neu. Hierfür steht der anthropologische Ansatz der Netzwerkanalyse innerhalb der Arbeiten John A. Barnes "Class and Committees in a Norwegian island parish" (1954) und M. Marriotts und B.S. Cohns "Networks and Centres in the Integration of Indian Civilization" (1958) und insbesondere Alfred Kroebers Reflektion zur antiken Ökumene: "The ancient Oikoumenê as an historic culture aggregate"(1945).

Der Begriff der Postmoderne impliziert die Markierung eines epochalen Einschnittes, der trennend zwischen Moderne und zweiter Moderne steht. Gemeint sind gravierende Veränderungen der Lebenswelten, die mit dem Prozess der Globalisierung einhergehen. Hierbei wird der Globalisierungsprozess des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts unterschieden von dem historischen wirtschaftlichen Globalisierungsprozess, der im 16. Jahrhundert in Europa begonnen hat.

Neu an der zweiten Moderne ist nicht nur "das alltägliche Leben und Handeln über nationalstaatliche Grenzen hinweg, in dichten Netzwerken mit hoher wechselseitiger Abhängigkeit und Verpflichtungen; neu ist die Selbstwahrnehmung dieser Transnationalität (in den Massenmedien, im Konsum, in der Touristik); neu ist die ´Ortlosigkeit von Gemeinschaft, Arbeit und Kapital; neu sind auch das globale ökologische Gefahrenbewußtsein und die korrespondierenden Handlungsarenen; neu ist die unausgrenzbare Wahrnehmung transkulturell Anderer im eigenen Leben mit all den widersprechenden Gewißheiten; neu ist die Zirkulationsebene ´globaler Kulturindustrien (Lash/Urry); neu ist auch das Heranwachsen eines europäischen Staatengebildes, die Zahl und Macht transnationaler Akteure, Institutionen und Verträge; schließlich ist auch neu das Ausmaß ökonomischer Konzentration, das allerdings abgebremst wird durch die neue grenzübergreifende Weltmarkt-Konkurrenz." (U. Beck, Kinder der Freiheit. FfM 1997, S. 31). Für Anthony Giddens ist es in erster Linie die "Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen" (A. Giddens, Konsequenzen der Moderne. FfM 1996, S.85), die die Globalisierung zu einer Epochenwandel einleitenden Triebkraft werden läßt.

Weitgehende Übereinstimmung innerhalb der Globalisierungstheorie(n) besteht darin, daß Globalisierung anhand dreier Parameter erkenn- und meßbar sein muß: "erstens Ausdehnung im Raum, zweitens Stabilität über die Zeit, sowie drittens (soziale) Dichte der transnationalen Netzwerke, Bindungen und Bilderströme." (Beck, Was ist Globalisierung? FfM. 1997, S.30)
Eine Definition an anderer Stelle bezeichnet Globalisierung als Set von Prozessen, in deren Verlauf die grenzüberschreitende, sich in Raum und Zeit bis zu globaler Gleichzeitigkeit steigernde Interaktion zahlreicher Akteure und Institutionen in transnationalen Netzwerken kumuliert, die die Schlüsselbereiche der gesellschaftlichen Entwicklung (Wirtschaft, Kultur, Politik, Technologie, Oekologie) erfassen und in ihrer Reichweite den Globus umspannen können. Die damit einhergehende Gleichzeitigkeit von De- und Reterritorialisierung führt zu einer Neustrukturierung der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Beziehungen zwischen den davon betroffenen Strukturen und daran beteiligten Akteuren, in deren Mittelpunkt die Auseinandersetzungen um die Neubestimmung der Machtverhältnisse auf globaler Ebene stehen. (D. Held, Global Transformations. Politics, Economics and Culture. Cambridge 1999, S. 27f)

Wie verhält sich ´Individuum zu ´Globalisierung und ´Globalisierung zu ´Individuum ? Dieser Fragestellung begegnet Ulf Hannerz, indem er den frühen anthropologischen Netzwerkgedanken aufgreift und ihn durch spezifische Erweiterungen für ethnografische Studien im Cultural Studies Approach brauchbar macht. Dies betrifft zum einen die Vorstellung der Struktur von Netzwerken, die vor allem von der Richtung der verschiedenen ´flows` (1) gekennzeichnet ist.
Er stellt fest, daß Netzwerke nicht nur zentriert strukturiert sind, wobei Waren, Texte und Bedeutungen aus einem Zentrum in Richtung der Peripherie "fließen", sondern auch dezentriert asymmetrisch. Die epistemologische Fortentwicklung hier besteht darin, die Gleichzeitigkeit zweier Eigenschaften zu denken, die sich an sich begrifflich ausschließen, ein Gegensatzpaar bilden.

Der Aspekt der asymmetrischen Strukturierung vervollständigt die frühe anthropologische Netzwerkanalyse und präzisiert das theoretische Instrumentarium, das sich dazu eigne, die soziokulturelle Organisation des Menschen der zweiten Moderne auf einer Metaebene fassbar zu machen: Die Globale Öekumene als Netzwerk der Netzwerke.

Die zweite grundliegende Erweiterung des frühen anthropologischen Netzwerkgedankens durch Hannerz referiert auf den Begriff des agierenden Individuums, auf dessen Handlungsspielraum innerhalb der sozialen Organisation von Bedeutung und reflektiert die Prämisse von Kollektivität und kollektiven Repräsentationen: "The ideal formula for the social organisation of meaning, from the individuals point of view, becomes ´I know, and I know that everyone else knows and I know, everyone elso knows that I know, and so forth. In a more complex situation, it becomes increasingly obvious that the individuals perspective, the individuals share or vision of socially organized meaning, is in large part a product of his network experience, and the greater variety and less density there is in ego-centred networks, the more different perspectives will be. It would also seem to follow that the more socially differentiated and even individualized will be the management of meaning within these perspectives. (...) And as the individual has to cope rather more independantly with gaps and contradictions in the cultural materials coming his way, there may be a growth in what can be termed metacultural sensibilities. Individuals perspectives, then, come to consist of the conceptions which they have come to construct or appropriate for their own use, as it were, but also of their perspectives on other perspectives - their approximate mappings of other people`s meanings. And culture as a collective phenomenon becomes the network of such perspectives."(2)

Wenden wir uns noch einmal einem zentralen Aspekt verschiedener Positionen innerhalb der Globalisierungstheorie(n) zu: der Frage nach Homogenisierung oder Heterogenisierung von Kulturen unter dem Einfluß von Globalisierung.
In diesem Richtungsstreit stehen sich in beiden Lagern Optimisten und Pessimisten, Befürwortung und Ablehnung gegenüber. Auf der einen Seite wird die Homogenisierung durch Globalisierung betont, wobei die einen eine erweiterte und verlängerte Verwestlichung im Sinne von ´McWorld zu erkennen meinen. Beck bringt dies auf den Begriff des ´Globalen Westens (Beck, Politik der Globalisierung, Ffm 1998, S. 42). Innerhalb der Vertreter dieser spezifischen Homogenisiserungstendenz wiederum stehen sich Befürworter (Fukuyama) und Gegner (Barber) gegenüber. Verfechter der Heterogenisierungstendenz sehen ein globales Zeitalter entstehen, dessen neue Qualität sich in der umfassend hergestellten Welt(zivil)gesellschaft beispielsweise inform der bei Hannerz angesprochenen metakulturellen Sensibilität als Eigenschaft des Menschen der zweiten Moderne manifestiert.

Die Konstruktion des Gegensatzpaares Homogenisierung - Heterogenisierung wird jedoch von einer dritten, wachsenden Gruppe abgelehnt. Signifikant ist die Einführung des Begriffs der Glokalisierung (3) als bestimmender Form, in der sich Homogenisierung wie Heterogenisierung von Raum und Zeit wechselseitig durchdringen. ´Lokales und ´Globales als die beiden begrifflichen Wurzeln des Neologismus "Glokalisierung" benennen aber lediglich zwei Pole der räumlichen Dimension von Globalisierung, die in ihrer Gleichzeitigkeit wiederum zwei Pole bilden: das "Lokale im Globalen" und das "Globale im Lokalen". (4)

Glokalisierung entsteht aus der Entgrenzung von bisher nationalstaatlich organisierten Räumen und ist folgerichtig durch die Herausbildung neuer sozialer Räume charakterisiert. Wird zwischem lokalem und globalem Regionales, Nationales, Inter-, Trans- und Supranationales anerkannt, ergeben sich aus räumlicher Gleichzeitigkeit vielfältige Möglichkeiten der Kombination von Homogenisierung und Heterogenisierung.
Für den Nationalstaat als verbindendes und vermittelndes Element zwischen Lokalem und Globalem eröffnen sich auf diese Weise Optionen nach beiden Seiten.

Daß Globalisierung keineswegs mit Homogenisierung gleichzusetzen ist, tritt in ihrer kulturellen Dimension besonders augenfällig zutage: "Man ist sich einig, daß Globalisierung keine kulturelle Vereinheitlichung herbeizwingt, ..."(5)
Vielmehr erweisen sich als "Melange" oder "Kreolisierung" (Hannerz 1987) bezeichnete Formen kultureller Hybridbildung als Gegentendenz zu "McWorld" (universelle Verwestlichung) und "Jihad" (universelle Entwestlichung). (6)

Bei der kulturellen Globalisierung kommt es darauf an, genau hinzuschauen und die konkreten Formen des Aufeinandertreffens, der Vermischung und Hybridisierung herauszuarbeiten. Die "Bilderströme der globalen Kulturindustrien" (Beck) beispielsweise sind nur ein Aspekt von Globalisierung. Eine anderer zeigt sich in der Herausbildung globaler ethnischer Räume - "ethnoscapes" (Appadurai 1998) im Ergebnis der "Enträumlichung kulturell-ethnischer Dynamiken, bei der die Gruppen nicht länger auf bestimmte Territorien fixiert sind und die Spannung zwischem Lokalem und Globalem die ausschlaggebende Kraft bei der Herstellung kultureller Identität darstellt." (7)

Ulf Hannerz Ansatz der Netzwerkanalyse ist hochaktuell und relevant.
Sein Konzept der Kreolisierung von Kulturen als Gegenthese zur pessimistischen, kulturhegemonialen Vorstellung von homogenisierender Verwestlichung durch Globalisierung wirkt einerseits in seiner Zielrichtung bestimmten Aspekten von Antiamerikanismus entgegen, die seit Amtsantritt der Administration George W. Bushs, insbesondere nach dem 11. September 2001 und mit Beginn des letzten Irakkrieges zumindest für Deutschland eine Renaissance erfahren; gleichzeitig ist es aber auch ein Mittel der soziokulturellen Dekonstruktion des Feindbild Islam.

Auf der wissenschaftstheoretischen Ebene ist sein Ansatz bedeutsam, weil ihm innerhalb ein- und desselben Theoriegebäudes die konzeptuelle Fusion von makroskopischem und mikroskopischem Blick gelingt.

Konnektivität: das dritte große Paradigma der Cultural Studies ?


Autor: Annariitta Grzonka (Oktober 2004)

(1) Ulf Hannerz, The global ecumene as a network of networks in: A. Kuper (ed.): Conceptualizing Society. New York, 1992, S. 41f (2) Ebda., S. 42 (3) R. Robertson: Glokalisierung. Homogenität und Heterogenität in Raum und Zeit in: Beck, Perspektiven der Weltgesellschaft. FfM 1998, S. 196 (4) Ebda., S. 203 (5) U. Beck, Was ist Globalisierung? FfM 1997, S. 100 (6) Beide Begriffe finden sich im englischen Titel »Jihad vs. McWorld« des 1996 in deutsch erschienen Buches von Benjamin R. Barber »Coca-Cola und heiliger Krieg. Wie Kapitalismus und Fundamentalismus Demokratie und Freiheit abschaffen«. Sie dienen ihm als Metapher, um einerseits die Gegensätzlichkeit von Homogenisierung und Heterogenisierung im Zuge der Globalisierung, andererseits die in dieser konkreten Form von beiden ausgehende Gefährdung der ´zivilisatorischen Errungenschaften` zu benennen. (7) A. Appadurai, Globale ethnische Räume in: Beck, Perspektiven der Weltgesellschaft, S. 11


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