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indigene Universitäten


So genannte autochthone Völker haben es in der zusammenwachsenden "Weltgemeinschaft" schwer.

Nach wie vor werden die Indigenen und Kleinbauern (nicht nur) in Südamerika von Öl-, Holz-, Zellstoff-, etc.-Konzernen sowie illegaler Landnahme durch Siedler bedrängt. Zudem erdreisten sich immer mehr internationale Firmen Gen-Patente auf indigene Kulturpflanzen zu erheben (prominente Beispiele wären der Basmatireis in Indien oder Cupuaçú in Amazonien, etc..).

Zur Verteidigung ihrer Rechte fehlen den betroffenen Minoritäten die dazu nötigen Fachkräfte, da sie selbst nur beschränkten Zugang zu einem ihnen fremden Bildungssystem haben. Hinzu kommt, dass die wenigen, welche das Glück haben eine akademische Ausbildung zu genießen, meist von Missionarsschulen kommen und sich daher von ihrer traditionellen Kultur derart entfremdet haben, dass sie sich für diese Werte nicht mehr einsetzen ...

(weitere Infos)

Folge ist, wie den meisten ja zweifelsohne bekannt ist, die soziale und ökologische Degradation der betroffenen Regionen, verbunden mir Ausbreitung von Krankheiten, Prostitution, Ethno-, Lingu- oder gar Genozid, sowie der dauerhaften Zerstörung von Ökosystemen durch Rodung, Verseuchung und Erosion.

In der letzten Dekade sind diesbezüglich vor allem zwei Problematiken diskutiert worden:

  1. Die Frage um die Landrechte indigener Bevölkerungsgruppen.

  2. Genpatente auf Kulturpflanzen indigener Völker, bzw. auf in "3-Welt"-Staaten endemische Pflanzen.

Diese beiden Problemfelder sind eng mit einem dritten, schon länger diskutierten, Problem verquickt: der Bildung. Aus Gründen mangelnder Infrastruktur, aber auch nicht zuletzt rassistischer Diskriminierung, sind indigen Bevölkerungsanteile oft (natürlich nicht gesetzlich, jedoch in der Realität) nahezu vom akademischen Bildungssystem ausgeschlossen.

Daher haben sich in den letzten 20 Jahren verschiedene staatliche und nicht staatliche Institutionen um den Aufbau von indigenen Universitäten, bzw. die Einbindung von indigenem Wissen in bestehende Bildungsinstitute bemüht (so z.B. in Bolivien, Brasilien, Ecuador, Kolumbien, Mexico und Argentinien).

Die zugrunde liegenden Ansätze sowie die Durchführung und Organisation dieser neuen Bildungsmodelle sind sehr unterschiedlich; sie reichen von der Einbindung indigenen Wissens im Bereich Tropenökologie und alternative Agrartechniken in bestehende Universitäten (z.B. Universitade Federal de Minas Gerais & Matogrosso, Brasilien, oder auch in Bolivien), bis hin zu kleinen, völlig unabhängigen Versuchen eine eigene Universität (unter dem Primat indigenen Wissens) in der indigenen Kommune aufzubauen.

Letzteres wird zur Zeit, seit etwa 4 Jahren, in der Shuar communidad Yawints in Ecuador versucht. So entstand die "Universidad de las Ciencias Ancestrales".

Treibende Kraft und Initiator dieses Projekts ist Estalín Tzamarenda Naychapi, mensajero ("Botschafter") eben jener Kommune.

Ziel ist es, kurz gesagt, in Zusammenarbeit mit westlichen Voluntären (Studenten und Lehrende) westliches Wissen in indigene(s) Wissen(schaft) einfließen zu lassen (und nicht umgekehrt, wie dies meist versucht wird) und so eine Basis für die Ausbildung eigener akademischer Fachkräfte zu Schaffen, welche Land- und Patentrechte für traditionell lebende Gemeinschaften durchsetzten können (ohne dabei von NGOs etc. abhängig zu sein).

Ein solches Projekt scheint mir aus mehren Gründen äußerst unterstützenswert und notwendig: Denn abgesehen von dem direkten Praktischen Nutzen einer solchen Institution für die betroffenen Ethnien selbst (Durchsetzung von Land- und Patentrechten und damit verbundene finanzielle und edukationale Unabhängigkeit bei freier kultureller Entwicklung), ergibt sich die Notwendigkeit eines solchen Wissensaustauschs aus dem westlichen wissenschaftstheoretischen Diskurs (nicht nur in der Ethnologie), welcher vor allem von postmodernen Wissenschaftlern und Philosophen geführt wurde, selbst. Das postmoderne Dilemma einer auf sich selbst bezogenen Humanwissenschaft, welche aus der Erkenntnis der Notwendigkeit eines epistemologischen Pluralismus keine Konsequenz zu ziehen in der Lage ist, harrt noch seiner Lösung! Gerade heute zeigt sich ideologische Zwist zwischen Positivisten und Postmodernen, Biologisten und Geisteswissenschaftlern in den aktuellen Diskussionen um die biologische Basierung des Geistes der Neurowissenschaften. Gleiches finden wir in der Sprachwissenschaft im Kampf der "generativen Grammatiker" der MIT und den Kognitivisten und das selbe Problem begründet die anhaltende "Krise der Ethnologie". - Es ist die Frage nach der Wahrheit von Wahrheit, das konstruktivistische Problem der Wirklichkeit als ein wirklich gemachtes Artefakt des menschlichen Geistes.

Diese Fragen gehen ALLE an! - sie betreffen den Juristen, der sich über Determinismus und Verantwortung den Kopf zerbricht; den Politiker in seiner Debatte um "Leitkultur"; den Neurowissenschaftler; den Sprachwissenschaftler; den Philosophen; den Physiker, der sich über den Methodenpluralismus klassischer, relativitätstheoretischer und quantenmechanischer Modelle wundert ... - es gibt wohl kaum einen Wissenschaftsbereich, welcher sich schussendlich dieser Frage entziehen könnte.

Der philosophisch-wissenschafttheoretische Diskurs der letzten 40 Jahre (Deleuze, Foucault, Feyerabend, uva.) hat dieses Problem nicht lösen, sondern nur vertiefen können. Die Ethnologie kennt dieses Problem besonders gut, hat aber, bis auf wenige Ausnahmen (Crapanzano, Huizer, Stoller, etc.), nie den Mut gefunden sich zu den praktischen Konsequenzen zu bekennen, welche eine ehrliche Anerkennung der prinzipiellen Gleichwertigkeit verschiedener Kosmologien (bzw. Epistemen/Dispositive) impliziert: Nämliche ein Sich-Einlassen der Wissenschaft auf weniger materialistische Epistemen.

Es gilt also, im Interesse der "Erkenntnis", welche sich die Wissenschaft auf ihre Fahnen geschrieben hat, mit anderen Kosmologien in einen gleichberechtigten Diskurs zu treten! - Und die beste Möglichkeit hierzu bietet ein fachübergreifender interkultureller Wissensaustausch auf akademischem Niveau. Ethnologen haben lange genug in irgendwelchen afrikanischen Dörfern Hexerei gelernt, nur um nachher Bücher für Ethnologen zu schreiben; - es gilt nun gewonnene Erkenntnis in die Praxis umzusetzen!

Wie gesagt, sucht Herr Tzamarenda Unterstützung für sein Projekt. Dabei geht es nicht nur um finanzielle Mittel zum Aufbau der "Universität", sondern vor allem um den Ausbau eines Netzwerkes zur interkulturellen Zusammenarbeit auf akademischer Ebene. Grundlage ist dabei der Gedanke der Gleichberechtigung kulturspezifischer Kosmovisionen und den damit verbundenen Epistemologien.

Hierzu ist es nötig, dass Dozenten und Studenten aus den verschiedenen Kulturen miteinanderer arbeiten, ihre Kosmovisionen diskutieren und nach Wegen suchen, (ganz im Sinne der Postmoderne) eine Wissenschaft der epistemologischen Pluralität zu begründen, in deren Rahmen sich das Wissen und die Interessen der unzähligen Ethnien und kulturell verschiedenen Gruppen behaupten können. Da leider bislang die Mittel für derartige Projekte gering, wenn nicht gleich Null sind, kann ein solcher akademischer Austausch zunächst nur auf der Basis von Voluntariaten realisiert werden.

Daher versuchen wir zur Zeit einen Kongress zur Diskussion der Notwendigkeit und Realisierbarkait interkultureller Zusammenarbeit auf akademischem Niveau zu organisieren. Hier sollen indigene Vertreter solcher Universitäten, wie z.B. Herr Tzamarenda, ihre Ideen darlegen und über ein mögliches Austauschprogramm mit der "Universidad de las Ciencias Ancestrales" und anderen indigenen Unis nachgedacht werden.

Wünschenswert wäre aus oben genannten Gründen die Teilnahme von Wissenschaftlern aus möglichst diversen Fachbereichen, idealer Weise auch von anderen Universitäten.

Diese Nachricht soll also zur Teilnahme an diesem Treffen anregen, bzw. zur Mitarbeit an diesem Projekt verleiten.

Der Zeitpunkt für den Kongress steht noch nicht genau fest - er wird jedoch wohl zwischen dem 20. und 23. April im Völkerkundemuseum oder in der Uni stattfinden.

... ein paar Links zu verschiedenen Projekten für indigene Bildung dieser Art:

www.iesalc.unesco.org.ve www.amawtaywasi.edu.ec www.watsonblogs.org www.brasiloeste.com.br www.letras.ufmg.br

Bei weiterem Interesse wendet euch bitte an:

unendlichesblau(AT)gmx.de


... Comment

Hallo. Interessantes Projekt. Danke für den Hinweis.

Aber vielleicht würden Sie einen Tipp von mir annehmen? Ihr Text ist doch sehr lang und erfordert auch für Ethnologen einen gewissen Dechiffrieraufwand. Um Menschen zu erreichen und interdisziplinäre Aufmerksamkeit zu erreichen wäre eine eingängigere Formulierung sicher sinnvoll.

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Zu viele Buchstaben ?

Mit Verlaub, ich bin diese Art der Kritik langsam leid, denn viel zu oft gerät der Inhalt eines Textes über der Diskussion seiner Form vollkommen außer Sicht.
Sry, aber das ist ein Text, der sich an Wissenschaftler und zukünftige W. richtet und kein Artikel der Süddeutschen.

@trahnilnaj,
ich spreche weder Spanisch noch Portugiesisch.
Mir ist aus den gegebenen Informationen heraus nicht ganz klar, wie so ein Projekt konkret aussehen kann und in welcher Weise man es möglicherweise unterstützen könnte.

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mönsch orange, das war keine kritik, sondern ein nett gemeinter tipp. wissenschaftler sind doch auch nur menschen.

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¿konkrete realisierung? ...

Also, konkret hoffen wir auf eine art "mehrstufige kettenreation", wenn man so will, die wir uns folgendermaßen erträumen:
1. der wissenschaftliche dogmatismus muss, unter berücksichtigung der wissenschaftlichen introspektive postmoderner reflexion der letzten drei jahrzehnte, aufgebrochen und der weg frei gemacht werden, für eine interkulturelle zusammenarbeit auf akademischem niveau - d.h. konkret: andere epistemen ernst nehmen und sich auf sie einlassen, sehen was sie können und dann mögliche wissenschaftliche anwendung abwägen ..
2. akademischer austausch um diesen wissensaustausch zu realisieren - indigene kommen hierher und lehren und lernen und eurpoäische (oder meinetwegen auch afrikanische oder asiatische oder..) wissenschaftler gehen zu indigenen unis um dort zu lehren und lernen ...
3. internationale anerkennung der resultierenden erkenntnisse als "wissenschaftlich", sowie anerkennung der interkulturellen bildungsinstitute
4. hoffentlich ein paar gelder ...
5. indigene fachkräfte, welche einerseits in westlichen wissenschaften geschult sind, andereseits jedoch weiterhin in "traditionellem" kontext stehen und sich für patent, -land und andere Rechte einsetzen können ...

so, das ist die vision ...

wenn ihr weitere vorschläge habt oder euch sogar engagieren wollt, dann meldet euch jederzeit gerne!

gruß

jan

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Also die Vision hört sich schonmal nicht schlecht an.

Gruß,
anna.

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