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Der Bundespräsident und Afrika


Der deutsche Bundespräsident, Horst Köhler, dürfte mit seinen Äußerungen über Afrika so manchen Ethnologen überraschen, der Politiker schon längt als interkulturelle Idioten abgeschrieben hatte. Am Montag hat Horst Köhler seine erste große Auslandsreise nach Sierra Leone angetreten, auf eignenen Wunsch, wie es entschuldigend aus dem Bundespräsidialamt lautete. Eine eindeutige und erstaunliche Geste. Aber es steckt nicht reines Gutmenschentum hinter dieser Priorität, sondern tiefere Einsicht für die Probleme in der globalisierten Welt:
"Für mich entscheidet sich die Menschlichkeit unserer Welt am Schicksal Afrikas", sagte Köhler. "Wir müssen endlich begreifen, dass wir in einer Welt leben!" Wenn wir uns nicht als Partner der Armen verstünden, könnten wir "in den so genannten entwickelten Ländern" weder "unseren Wohlstand noch unsere Sicherheit noch unseren Frieden erhalten". (Mehr bei der TAZ) Selbst im Detail macht er die feine, wenn auch immer etwas alberne Umschreibung der "so genannten entwickelten Länder", die dazu dient, sich von Hierarchien und evolutionistischen Bildern zu verabschieden. Die große Überraschung kam in dem Artikel der TAZ aber zum Schluss: Köhler forderte sogar den Abbau der handelsverzerrender Subventionen (siehe KerLeones Ethnolog-Artikel zu den Zucker-Subventionen). Sich mit so viel Mut gegen die wirtschaftlichen Interessen des eigenen Landes zu stellen und für die soziale Gerechtigkeit in der Welt, verdient sehr viel Respekt. Man kann sich wünschen, dass er mit seinen Ideen auch erfolgreich sein wird. (Der Volltext zur sogenannten Weltethosrede, gibt weiteren Einblick in die weltpolitischen Ansichten des deutschen Präsidenten).


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Hmmm, aber nicht ganz so schön ethnologisch finde ich seinen ständig verwendeten Begriff der Zivilisation und der zivilien Gesellschaft, die wir haben und die sich bei den Afrikanern entwickelt. Das hat doch wieder was von der alten Evolutionismus-Idee.

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Nicht unbedingt. Der Begriff der Zivilgesellschaft kann auch in einem politischen Sinn verwendet sein und mit Ideen der Demokratie, der Legitimität von Herrschaft und mit Bürgerrechten verbunden sein. So gesehen ist es dann kein Evolutionismus (der ja von einem sehr allgemeinen Fortschrittsmodell ausgeht), sondern eher eine politisch-gesellschaftliche Bewertung, die kulturelle Errungenschaften ausblendet.

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Lieber Korikori,
Ich teile nicht deine Freude ueber die "tieferen Einsichten" unseres Bundespraesidenten "fuer die Probleme in der globalisierten Welt".
Weder in seiner Weltethosrede und noch in der Afrika Reise sehe ich grundlegende Unterschieden mit anderen Sonntagsreden im Entwicklungsbusiness oder PR Reisen nach Afrika. Die Hauptaussage der Rede ist doch im Ende eine Gratulation an uns selbst: Wir sind aufgeklaert, wir haben den modernen Staat, die Buerger- und Menschenrechte, und, das allerbeste: Wir sind Christen. Auf der Basis all dessen sind wir verpflichtet dem armen Afrika zu helfen. Natuerlich ist der Begriff der Zivilgesellschaft politisch, und mit "mit Ideen der Demokratie, der Legitimität von Herrschaft und mit Bürgerrechten verbunden". Aber all diese Dinge sind sowohl "politisch-gesellschaftliche Bewertungen" als auch auch "kulturelle Errungenschaften" der westlichen Moderne. Entweder der Begriff Zivilgesellschaft wird total ausgeduennt, und damit nutzlos in nicht-westlichen Kontexten, oder aber er ist verbunden mit Ideen wie dem Individuum und einem "rationalen" politischen System, das Buergerrechte garantiert (Koehler erwaehnt in seiner Rede Menschen und Buergerrechte, und "starke, funktionierende Rechtsstaaten").

Genausowenig finde ich die Forderung nach Abbau von "handelsverzerrenden" Subventionen bahnbrechend. Koehler redet von den Baumwollsubventionen, die Benin schaedigen. Fuer diese Subventionen sind zum Grossteil die USA verantwortlich. Er erwaehnt nicht die Milch, Zucker, Fleisch etc Subventionen der EU. Solche Forderungen, genauso wie das Zitieren des 0.7% BNP - Ziels und der letzten Konferenzen (Monterrey zur Entwicklungsfinanzierung, Doha "Entwicklungsrunde" der WTO) gehoeren zum Standardrepertoire eines jeden Entwicklungspolitikers. Ich finde weder dass so etwas "viel Mut" erfordert, noch grossen Respekt verdient.
Natuerlich sind all diese Fragen vertrackt und schwierig, und das alles soll nicht heissen, das Koehlers Reden kompletter Unsinn sind. Dass sie jedoch irgendetwas entscheidend neues in der Perspektive auf und in der Politik gegenueber Afrika darstellen, bezweifle ich stark.

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hi vernant

leider kann ich den ersten Teil deiner Kritik an Koehler nicht ganz nachvollziehen. Nur weil der Begriff Zivilgesellschaft ein Begriff des Westens ist, macht das die dahinterliegenden Ideen "wie dem Individuum und einem "rationalen" politischen System, das Buergerrechte garantiert" nicht zwingend schlecht.
Meiner Meinung nach ist die Garantie von Menschenrechten eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren einer Gesellschaft. Deren Implementation darf allerdings nicht universal ausfallen sondern muss sich lokal an die Bedürfnisse der Bevölkerung anpassen, d.h. z.B. so das Nomaden ihre bisherigen Lebensstil aufrechterhalten können. Oder das Recht auf Bildung: Dies heisst nicht zwingend die Einführung von Schulzwang wenn dies aufgrund der ökonomischen Situation nicht möglich ist.
Der Handlungsimperativ einer vernünftigen Entwicklungspolitik kann deshalb nur heissen: Think global, act local !
Zum zweiten Teil deiner Kritik möchte ich dir beipflichten und noch einen wichtigen Punkt hinzufügen:
Für viele afrikanische Staaten ist der Ausbruch aus ihrer Schuldenfalle derzeit unmöglich da sie für ihren Energieimport von fossilen Energien mehr ausgeben als sie durch den Export erwirtschaften. Hier gilt es anzusetzen. Hände weg vom schwarzen Gold und stopp der internationalen Weiterverbreitung von Nuklearenergie durch die Internationale Atomenergieagentur. Als alternative sollten lokale, regenerative Energien geschaffen werden ansonsten zündet der Motor der Entwicklung in Afrika wohl niemals.

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age-man-eight

du hast schon recht, ich moechte diese Begriffe auch nicht schlecht machen, sondern nur darauf hinweisen, das sie relativ sind, eine Geschichte haben, irgendwo herkommen. Das lokale "an die Beduerfnisse der Bevoelkerung anpassen" bei solchen Begriffen, die generell als universal, allgemeingueltig und natuerlich angenommen werden, ist halt recht schwierig. Jeder Nationalstaat dieser Welt behauptet, dass er seine Buerger vertritt, dass sie eine Moeglichkeit haben, sich politisch zu engagieren. Aber alle sind auch konfrontiert mit diesem ubiquitaeren Diskurs ueber Menschenrechte, Zivilgesellschaft etc, ueber internationale Politik, NGOs, Presse etc. Lokale Diktatoren und Unterdruecker positionieren sich dazu. Aber die Anrufung von "Menschenrechten" ist nicht genug, um irgendetwas an der Situation zu aendern. Menschen leben weiter, ungleich, sie wandern umher, und die Sicherheiten, die sie von "Rechten" garantiert bekommen, sind immer relativ, und unsicher. Kannst du mir irgendeinen Nationalstaat nennen, der den Lebensstil von Nomanden unterstuetzt, gut findet?
Menschenrechte sind eine schwierige Sache. Marx, und viele die ihm folgen, zb, findet sie ganz daneben. Sie aendern nichts an der Ungleichheit zwischen Menschen, sondern bejahen sie noch (eg. "Zur Judenfrage" oder, John Gledhill (1997) "Liberalism, Socio-Economic Rights and the Politics of Identity: From Moral Economy to Indigenous Rights", in Richard Wilson (ed.) Human Rights, Culture and Context: Anthropological Approaches, pp. 70–110. London: Pluto Press.). Und sie sind aus der Geschichte des Westens entstanden (eg Debatte on "Asian values" vs human rights). Zivilgesellschaft, ist schon im Namen mit dem Begriff "Buerger" verbunden. Der Buerger ist Mitglied eines Nationalstaats, der ihm sein Dasein garantiert. Das ist nichts natuerliches, gutes oder universales, sondern etwas geschichtlich entstandenes, kontingentes (koennte auch anders sein). Auch wenn sie aehnliche Worte gebrauchen (gongmin und ciudadano) weiss ich nicht recht, ob "Buerger" (und "Zivilgesellschaft") in China und in Suedamerika ganz genau dasselbe sind wie in Deutschland. Ich glaube dass die Ideen, die Menschen von lokalem Engagement, ihren Rechten, und "Politik" haben, ganz entscheidend von kulturellen Hintergruenden, lokalen Geschichten und gesellschaftlichen Umstaenden gepraegt sind.
wegen all dem finde ich die Anrufung von "Menschenrechten" und "Zivilgesellschaft" nicht genug, sondern eher abgeschmackt (nicht "schlecht").

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Noch ne Meinung zu Köhler

Ich muss mal kurz noch was anmerken: Köhlers erste große Auslandsreise Mitte Juli ging nach Polen. Danach kamen weitere. Was K. also die erste große Reise nennt, ist zwar vielleicht seine erste weite Reise. Die erste weite Reise muss aber zwangsläufig aus Europa rausführen, sonst wäre sie ja nicht weit. Ich glaube daher, aber nicht nur daher, dass K.s vorgebliche Afrikaverbundenheit auch Koketterie ist.

Zu seiner Weltethosrede: Bevor K. Bundespräsident wurde, war er Geschäftsführender Direktor des IWF. Als solcher beurteilte er das Leben der Nationen von der Warte der internationalen Finanzelite aus, anhand der üblichen IWF-Kriterien also, zu denen in erster Linie die Rendite auf das eingesetzte Kapital gehört: günstige Investitionsmöglichkeiten, Freizügigkeit für Kapitalbewegungen, liberale Steuergesetzgebung, ein ausgeglichener Staatshaushalt (sprich Abbau von Sozialleistungen) - der ganze heilige Profitkanon.
Im Namen des IWF diktierte er in offizieller Funktion eine Politik im Sinne des Wirtschaftsliberalismus.
K. pflegte auch damals, im IWF-Posten, zwar stets eine "entwicklungsfreundliche" Rhetorik ("Armut reduzieren, überschuldete Länder entschulden"). Die Praxis aber sah nur in der Theorie dementsprechend aus: Von den im sog. HIPC-Programm angekündigten 100 Milliarden Euro Schuldenerlass durch die Industrieländer ist erst ein kleiner Teil erfüllt.
Und nun, da K. hauptberuflicher Rhetoriker und Handschüttler ist: Da kann er natürlich gut reden.

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