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Kontroverse um Mohammed-Karikaturen


Muss sich eine Zeitung für die Veröffentlichung von Karikaturen des Propheten Mohammeds entschuldigen? Nach monatelangem Streit knickt heute die dänische Jyllands Posten ein und entschuldigt sich für die Verletzung der Gefühle der Muslime in aller Welt. Ich schreibe 'einknicken', weil sich die Zeitung damit von gewissen Werten unserer Gesellschaft verabschiedet. Die Jyllands Posten erscheint - hauptsächlich - in einem dänisch-europäischen Kontext. Die hiesigen normativen Konventionen erlauben die humoristische Distanz zu religiösen Aspekten. Ähnliche Schwierigkeit treten bei Jesus- & Papstwitzen schließlich nicht auf. Es sollte also möglich sein, die Propheten-Cartoons, so wie es geschehen ist, zu drucken, ohne auf die Gefühle der muslimischen Welt, bzw. wirtschaftliche Boykotte und außenpolitische Verstimmungen, Rücksicht nehmen zu müssen. Pikant: die Jyllands Posten wollte sich mit den Karikaturen ursprünglich an der in Dänemark anhaltenden Debatte über die Meinungsfreiheit beteiligen. Mit der heutigen Entschuldigung hat sie eine weitere Normenverschiebung im Umgang mit islamischen Themen in der europäischen Öffentlichkeit erreicht, die ursprünglich sicher nicht in ihrem Sinne war. Zwei Stimmen dazu: H. M. Broder auf Spiegel Online, dem ich mich anschließe. Gegenstandpunkt: s. R. Wolff in der TAZ.(1)Muslimische Länder protestieren gegen Mohammed-Karikaturen Eine dänische Rushdie-Affäre

Sie wusste, was für ein Süppchen sie da kochte: Die dänische Zeitung Jyllands-Posten (JP), die als Sprachrohr des rechtsreaktionären Dänemark gilt, kann auf eine ungute Vergangenheit des unverblümten Antisemitismus in den Dreißigerjahren zurückblicken. Heute kühlt sie ihr Mütchen lieber an Einwanderern mit einem publizistischen Kurs, der sich vor allem gegen Muslime richtet.

Im vergangenen Herbst veröffentlichte die JP-Redaktion ein Dutzend Karikaturen, die den muslimischen Propheten Mohammed mal mit Bombe im Turban, mal mit anderen Araberstereotypen in Verbindung brachten und die manche Betrachter an Zeichnungen aus dem nationalsozialistischen Stürmer erinnerten. Das schien gut ins Konzept der Zeitung zu passen, konnte man sich doch damit als vermeintliche Speerspitze der Pressefreiheit profilieren und die Proteste, die so erwartbar waren wie das "Allah ist groß" in der Moschee, dann schnurstracks zu einem Angriff auf die Meinungsfreiheit umdeuten.

Nun darf Satire bekanntlich alles, auch geschmacklos sein. Doch die kalkulierte Provokation der JP geschah nicht im luftleeren Raum. Dänemark hat sich in den vergangenen Jahren mit einem offen ausländerfeindlichen Kurs profiliert, der nicht nur in Politik und Recht, sondern auch im öffentlichen Diskurs deutliche Spuren hinterlassen hat. Führende dänische Politiker können hier ganze Gruppen von Migranten als Menschen zweiter Klasse bezeichnen und den Islam mit Pest und Cholera vergleichen, ohne dass dies größeren Protest erregt. Erst am vergangenen Samstag traten deshalb nun zwölf dänische Schriftsteller an die Öffentlichkeit, um in einem offenen Brief einen "Verfall humanistischer Werte" zu beklagen und eine öffentliche Debatte zu kritisieren, die "Erinnerungen an totalitäre Bewegungen aus anderen geschichtlichen Epochen weckt".

Man hätte sich allerdings gewünscht, dass die muslimischen Reaktionen auf die umstrittenen Karikaturen nicht so vorhersehbar gewesen wären. Vier Monate nach der Veröffentlichung hat sich die Debatte zu einer Art dänischer Rushdie-Affäre ausgeweitet und damit ungeahnte Dimensionen angenommen. Eine unheilige Allianz undemokratischer Regime wie Iran, Libyen und Saudi-Arabien hat den Streit nämlich zum Anlass genommen, massiven politischen und wirtschaftlichen Druck auf Dänemark auszuüben. Diese Reaktion lässt einer westlichen Öffentlichkeit nur die Wahl, im Zweifel für die Pressefreiheit einzutreten. Auch wenn dies angesichts der unappetitlichen Karikaturen schwer fällt. REINHARD WOLFF

31.1.2006 taz Meinung und Diskussion 56 Zeilen, REINHARD WOLFF S. 11


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Na ja. Wenn der nächste grosse Deal mit China ansteht, wird Broder nichts dazu schreiben. Der Kunde ist leider nicht nur König, sondern auch Diktator. Immerhin hat es ein paar Tage gedauert, bis die Mullahs vor den Kameras nicht nur selbstgemachte, sondern auch echte importierte dänische Flaggen verbrennen konnten.

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eine reaktion

...vielleicht nicht ganz themarelevant, dennoch erwaehnenswert.

spiegelonline

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"Ähnliche Schwierigkeit treten bei Jesus- & Papstwitzen schließlich nicht auf. "

Die kommen auch im Zweifel aus dem "eigenen" Lager, nicht von einer rechtkonservativen Dänischen Zeitung.

"Die dänische Zeitung Jyllands-Posten (JP), die als Sprachrohr des rechtsreaktionären Dänemark gilt, kann auf eine ungute Vergangenheit des unverblümten Antisemitismus in den Dreißigerjahren zurückblicken. Heute kühlt sie ihr Mütchen lieber an Einwanderern mit einem publizistischen Kurs, der sich vor allem gegen Muslime richtet." (Taz).

Aber auch sonst wäre das was du da versuchst ein tendenziell auf einer universalistischen Vorstellung beruhender Vergleich.

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Jyllands-Posten "rechtreaktionär"?

Die taz sollte m. E. mal die Moschee im Dorf lassen: die Jyllands-Posten ist eine eher rechtliberale bis konservative Zeitung; etwa so "rechtsreaktionär" und "einwandererfeindlich" wie die "Welt". Nicht meine politische Kragenweite, nicht immer fair gegenüber Einwanderern, aber ganz klar nicht rechtsextrem.

Von einem auf "einer universalistischen Vorstellung beruhenden Vergleich" kann m. E. auch nicht die Rede sein. Es geht darum, dass eine nordeuropäische Zeitung nach nordeuropäischen Maßstäben zu beurteilen ist - allenfalls die Empörung der in Dänemark lebenden Muslime ist von Belang, nicht die z. T. künstlich aufgeputschten, z. T. aus Unkenntnis der dänischen Verhältnisse resultierenden Wutausbrüche in arabischen Ländern.

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an woweezowee: 'Aber auch sonst wäre das was du da versuchst ein tendenziell auf einer universalistischen Vorstellung beruhender Vergleich.'

-- nö, habe ja vorher klar auf den Wertekontextualismus hingewiesen.

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Ein weiterer Artikel

Die Zeit hat einen Artikel zum Thema veröffentlicht. Interessant finde ich u.a. diese Passage:

"Naser Khader, syrischstämmiger Abgeordneter der sozialliberalen Venstre-Partei im dänischen Parlament, dem Folketing, bezeichnet sich selbst als einen 'Ultralight-Muslim'. (...) Khader nimmt die unbequeme Position ein, sowohl die radikalen Imame als auch die Hetzer von der Dansk Folkeparti [diese Partei ist nicht die Jyllands Posten] zu kritisieren: 'Die Kampagne gegen die Karikaturen ist ein durchsichtiges Manöver der Radikalen. Aber dass der Islam bei uns unter öffentlichem Beifall ein ›Krebsgeschwür‹ genannt wird, bereitet ihnen den Boden.'"

Dazu die Debatte zum Thema auf zeit.de.

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Korrektur

grübel, grübel. hab den Bomben-Mohammed wieder entfernt. Die Cartoons sind einmal erschienen in der Jyllands-Posten. Aber es war nach meiner jetzigen Ansicht dann doch falsch, während die Debatte um die Bilder bereits entfacht war, diese erneut zu veröffentlichen.

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